Gampel / Jeizinen
Totenprozession Gratzug in Gampel-Jeizinen
Es hat immer schon geheissen, in Jeizinen in der Doppengasse ziehe der Gratzug vorüber.
Simon Metry
Gampel / Jeizinen
Simon Metry
Eines Abends hatte ein Bürger, dessen Haus in der Gasse lag, spätabends noch einen Schlitten voll Holz geholt. Er war von der schweren körperlichen Arbeit wie zerschlagen und dachte nur noch an eine Tasse heissen Kaffee, eine warme Suppe und eine Schnitte Brot. Ausserdem war es zu dunkel und zu spät zum Abladen und deshalb liess er den beladenen Schlitten in der Gasse stehen, ging ins Haus und legte sich ins Bett.
Gegen Mitternacht hörte er draussen von weit her ein unheimliches Gemurmel. Hans-Josi dachte sich nichts Besonderes dabei. Plötzlich hörte er jemanden rufen: „Hans-Josi, tu den Schlitten weg, wir kommen.“ Ärgerlich brüllte er zurück: “Ihr mögt wohl vorbei“. Er drehte sich auf die andere Seite und war kurz vor dem Einschlafen. Bald war es aber mit der Ruhe vorbei. Man befahl ihm noch einmal, diesmal lauter und eindringlicher: “Hans-Josi, tu den Schlitten weg, wir kommen“. Langsam wurde ihm eng ums Herz. Doch er nahm seinen ganzen Mut zusammen und rief genau so laut wie vorher zurück: „Ihr mögt wohl vorbei“. So einfach schien das nicht zu werden. Auch dieses Mal gab die Stimme nicht nach und rief: „Hans-Josi, tu den Schlitten weg, wir kommen “ Diesmal stand er auf, aber er traute sich nicht vor das Haus. Er gab trotzdem ängstlich zurück: „Ihr mögt wohl vorbei.“
Bald darauf hörte Hans-Josi die Prozession, die vorüberzog; das Beten und Murmeln der armen Seelen. Da überkam ihn die Reue und er dachte, wenn er den Schlitten doch nur auf die Seite gestossen hätte. Aber jetzt war es zu spät. Er hatte Angst, dass die armen Seelen ihn noch einmal aufsuchen würden und er dachte, dass dies ganz sicher seine letzte Nacht werde. Aus Angst drehte und wälzte er sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere und war froh als endlich der Tag anbrach. Er hatte die Nacht trotz allem überstanden.
Nun wagte er kaum einen Blick zum Fenster hinaus. Er nahm allen Mut zusammen und nach einem Blick nach draussen trat er vor die Haustür. Was er da sah, liess ihm den Atem stocken und das Blut in den Adern gefrieren. Sein Schlitten war von den armen Seelen in hunderttausend Stücke zertreten worden. Es war nicht daran zu denken, dass er wieder geflickt werden konnte. Das Holz, welches Hans-Josi am Vortag gesammelt hatte, musste er sich mühsam vor seinem Haus zusammen suchen. Der Gratzug hatte gewütet und sich sein Wegrecht ganz einfach genommen.
Simon Metry
Quelle:
- Buch: Guntern: Walliser Sagen