Viehzucht

D'Gebuurt bim Rind

[Die Geburt beim Rind]

Schon bevor das neue Lebewesen den Leib der Mutter zerreißt und ans Licht tritt, ergeht sich der Besitzer in Vermutunen über sein Geschlecht. Die Erfahrung hat gewisse Merkmale gezeitigt, die auf einen weiblichen oder auf einen männlichen Nachkommen weisen sollen. Übereinstimmend wird angenommen, daß ein helles Trächtigkeitssekret lüüteri Pflächtere, ein weibliches Tier, ein dunkelbraunes Sekret fiischterri, brüüni Pflächtere ein männliches Tier erwarten lasse. Ein schwer geladener, großer Bauch, groosi Mala, läßt auf einen Stier schließen; an einem Kuhkalb trägt die Kuh leichter. Ein Kuhkalb bewegt sich mottot schi und stößt pinggot gegen die rechte Flanke der Kuh vom sechsten 'Monat der Tragzeit an bis zum neunten Monat; dann liegt es ruhig. Ein Stierkalb hält sich still bis zum neunten Monat, bewegt sich jedoch danach mit jedem Tag des Übertragens stärker. Ein weibliches Kalb kommt inner­halb 10-14 Tagen nach dem neunten Monat der Trächtigkeit zur Welt; einen Stier trägt die Kuh bis 21 Tage über die neun Monate hinaus, über die 'Zeit' Ziit, über das 'Ziel' Zill. Der Stier zehrt an der Kuh. Magert eine Kuh kurz vor dem 'Ziel' oder beim Übertragen Uberträägu stark ab, so soll mit Sicherheit ein Stier die Schuh! daran tragen.

Das genaue Geburtsdatum eines Kalbes kann nicht vorausgesagt werden. Man fragt deshalb nie: «Wann wird die Kuli 'kalben', sondern: "Wann hat es (das Kühlein) die Zeit?, - das Ziel?". "We ischt ds Zill?". Wirft die Kuh im Spätherbst, so ist sie 'früh' frieji. Liegt der Zeitpunkt des Abkalbens im neuen Jahr, dann ist sie 'spät' speeti. Wird das Kleine schön in der Mitte, um Neujahr, zur Welt kommen, so spricht man von einem günstigen Zeit­punkt der Niederkunft, von einem schönen 'Gereis' Greis.  Die mittlere Abkalbezeit ist in den Bergverhältnissen durchschnittlich am günstigsten, weil dann die größte Jahresmilchmenge erreicht wird. Viele Bauern ziehen aber einen früheren Zeitpunkt vor, damit das Kalb Zeit hat zu erstarken, um im folgenden Som­mer gealpt werden zu können.

Bei einem zu früh gefallenen Kalb, das noch nicht lebensfähig ist, handelt es sich um eine Fehlgeburt oder ein 'Verwerfen' Verwäärffu der Kuh.

Auf die Geburtsstunde rüstet sich die Kuh. Die groß gewordene Scheide zieht sich zu­sammen, der Schwanz wird weich, die Beckenbänder lockern sich. Sofern diese Bänder nach dem Tränken der Kuh wieder fest werden, kann es nochTage dauern, bis das Kalb kommt. Sind sie end­lich vollständig erschlafft, so beginnen die Wehen; die Kuh macht sich ans Kalben ds Chalbersch gaa. Sie beginnt zu stampfen, storu, hin und her zu trappen, träpschu, wirft sich nieder und drückt trickt.

Ein witziger Bauer meint, das sicherste Zeichen, (laß eine Kuh kalbe) sei ein Kopf vorne und einer hinten: an Grint voorna und eine hinnerna.

Zuerst erscheint die Blase, Blaatra,  mit Fruchtwasser. Die Beine liegen in der Schleimblase Schliimblaatra. Die Blasen sol­len den Weg durch die Geburtsgänge bahnen wägu. Wenn sie geplatzt sind, greift der Bauer mit seinem gut gefetteten Arm ein, um die Lage des Kalbes festzustellen. Wenn es 'gehörig' liegt', keerig liggot, läßt er die Natur walten, bis die Beine und der daraufliegende Kopf herausschauen. Dann bindet er einen Strick, Schnotz, über den Knöcheln um die Schienbeine des Kalbes, 'verspannt' sich an der Kuh indem er mit den Füßen gegen sie stemmt, und abstößt, und zieht zuerst geradeaus und dann gegen das Euter. Das Kalb gleitet heraus, und da die Nabelschnur abgerissen ist, muß der Mund rasch zur Atmung geöffnet werden. Gelingt dies nicht, so erstickt und verendet, 'verdirbt' das Kalb. Schwieriger wird die Geburt, wenn das Kalb auf dem Rücken, zunderobschi  liegt oder verkehrt, ts hinnerfirsch, herauskommt. Ein Tierarzt ist nötig, wenn der Tragsack verdreht oder verknöpft, 'verbändert' ist. Bringt man in diesem Falle das Muttertier mit dem Leben davon, so ist man zufrieden. Das Kalb bleibt selten am Leben. Ein totes, 'abgestandenes', apgstannus, futschigs, Kalb braucht man als Lockspeise für Füchse Fugsbeizi. Der Kadaver, 'Blag' Plagg, stinkt bleggjot, fürchterlich, bis er vom Fuchs 'oder von den Vögeln bis auf das Gerippe ver­zehrt ist.

Nach der Geburt gilt es aufzupassen, daß die Kuh nicht den Gebär­muttervorfall bekommt. Wenn die Kuh 'die Gebärmutter zeigt' der Liip zeigt, birchinut, besteht die Gefahr, daß sie diese ganz herausdrückt, 'den Leib darrührt' der Lip darriert, 'dargeheit', darkchiit. Um den Druck zu lindern, verabreicht man ihr in Schnaps getauchtes Brot. Vor allem aber wird man bestrebt sein, die Kuh auf die Beine zu bringen. Schiebt man ihr das frischgeworfene Kalb hin, so will sie es ablecken; dadurch erreicht man erstens, daß die Kuh aufsteht, und zu­gleich, daß das Kalb schnell trocknet. Nötigenfalls bleibt noch das Druck­band, Druckbant übrig, welches um die Scheide ge­legt und vorn an der Brust verspannt den Austritt der Gebärmutter ver­hindert. Diese Vorrichtung ist jedoch ungünstig, da sie zugleich die Nach­geburt 'hinterhält' hinnerhet.

Einige Stunden nach der Geburt soll die Kuh den Mutterkuchen, die Nachgeburt, Siiberra, Reini, Schlichti von sich geben, 'sich säubern'. Um dies zu fördern, gibt man der Kuh einen halben Liter Wein und reibt ihren Rücken mit heißem Schweinefett, 'Schmer' Schmärr ein. Etwa acht Tage lang darf man keine treibende Nahrung, besonders kein Emd, verabreichen, weil sich sonst leicht Verdauungsstörungen einstellen. Jedoch erhält die Kuh etwas zur Nachreinigung, Fleetigu, am besten Roggenbrot mit But­ter, Leinsamenschleim, Liset,  Eier, Räben, Reetricha, Kohlraben Raafe, rohe Kartoffeln und nach jedem Melken einen Liter ihrer eigenen Milch. Die ersten drei bis vier Melkzeiten Mälchziit nach der Geburt entrinnt dem Euter eine dicke, dunkelgelbe Milch, 'der Biest' Biescht: Biest ist ein Laxiermittel (Abführmittel). Da auch der Magen des Kalbes durchgespült werden muß, bekommt das Kalb einen Teil der Biestmilch. Was davon übrigbleibt, wird teils den Nachbarn geschenkt, teils zum Backen einer feinen Torte Bieschttorta verwendet. Man schlägt zwei Eier, etwas Rahm einen Löffel voll Zucker, eine Prise Salz , eine Messerspitze Zimt Ganilla und Änis untereinander und schüttet die Biestmilch dazu. Daneben wird ein Rost, Rooscht mittels Mehl und einem Würfel Fett bereitet und ein großer Topf Märmitta damit ausgestrichen. In diesem Topf kommt alles zu­sammen in den Backofen und wird nachher mit gesottenen Kartoffeln auf­getragen und gegessen. Natürlich gibt es noch andere Rezepte, doch stimmen alle darin überein, daß das Resultat köstlich mundet.

Quelle:
  • Hans Ulrich Rübel: Viehzucht im Oberwallis, Huber, Frauenfeld, 1950
VS, 28. 11. 12
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