Rechte der Walser

Blick in die Forschung

Hatten die Walser vergleichbare oder sogar gleiche Rechte? Sind diese Rechte ein Erkennungsmerkmal der Walser?

Die grosse Kontroverse unter Walser Forschern...

  • Gibt es so etwas wie ein einheiltliches Walser Recht?
  • Wenn ja: wurde dieses aus dem Ursprungsland importiert oder entwickelte sich dies in den neuen Regionen?
  • Gibt es überhaupt zwischen den Walsern Gemeinsamkeiten ausser der Sprache?

Die Forscher sind sich nicht einig.Eine grosse Mehrheit von Historikern ist überzeugt, dass Walser Freiheiten Kolonistenrecht ist. Sie behaupten, alle Kolonisten hätten ähnliche Freiheiten wie die Walser. Folglich vertreten sie auch die These, die Walser Freiheiten seien auf keinen Falle von Ursprungsland mitgebracht worden.

Andere  Forscher und Forscherinnen dagegen behaupten, Walser Freiheiten seien allen Walser eigen und diese hätten diese aus dem Ursprungsland mitgebracht.

Der Davoser Freiheitsbrief von 1289 ist auf den ersten Blick etwas völlig anderes als der Friede von Macugnaga. In diesem Briefe werden die oft beschworenen Walser Rechte und Freiheiten konkrete benannt und anerkannt.

Er ist nicht der erste Freibrief dieser Art und schon gar nicht der letzte. Es gibt vielmehr eine ganze Reihe von Freibriefen in allen Walser Gebieten. Aber die manchmal als „Davoser Freiheiten“ zitierten Rechte scheinen zumindest im Bündnerland durchaus wegweisend gewesen zu sein und haben in einigen Fälle so etwas wie Vorbildcharakter..

Mit dem Lehensbrief von 1289 erhielten die Walser in der heutigen Landschaft Davos das Recht auf Selbstverwaltung. Alle Güter gingen in freier Erbleihe in den Besitz der einzelnen Familien.

In dieser Urkunde werden die Walser Freiheiten, manchmal Davoser Freiheiten genannt, explizit aufgezählt:

  1. die persönliche Freiheit.
  2. die Erbfreiheit      
  3. die Selbstverwaltung
  4. die niedere Gerichtsbarkeit

Gleichzeitig wird präzise aufgelistet, was die Walser aus Davos an Abgaben und Leistung zu erbringen hatten.

Weil ähnliche Briefe und Urkunden verloren gingen, orientieren sich viele Walser Froscher an dieser Urkunde. Der Lehensbrief von Davos gilt als Modell für andere ähnliche Briefe und ist eine Art zuverlässige Kronzeuge, was unter Walser Freiheiten wirklich zu verstehen ist.

 Autor Hans Steffen, April 2007

Standpunkt 1: Die Walser haben nur ein Erbgut gemeinsam: Die Sprache . Walser Recht ist Kolonistenrecht

(Exponenten: Peter Liver ,  Paul Zinsli, Louis Carlen)

"Man hat immer wieder versucht, die Eigenart der Walliser und der Walser zu bestimmen und ihre Gemeinsamkeiten zu ermitteln. Man sprach von Walserblut, von Walserrecht, vom Walserhaus, von Walsersagen und -bräuchen und wollte im hl. Theodul den Walserheiligen erkennen. Diese und andere Versuche vermögen nicht zu überzeugen. Gewisse Eigenheiten finden sich nämlich nur in einzelnen Kolonien, und andere teilen die Walliser und die Walser mit ihren Nachbarn. Wie könnte es auch anders sein? Seit den Wanderungen sind rund 700 Jahre verstrichen. In dieser langen Zeit haben die Nachkommen der Auswanderer ihre Lebensweise der neuen Umwelt und den andersgearteten Nachbarn angepasst. Manchenorts sind sie schon längst in der umgebenden Bevölkerung aufgegangen, so in Savoyen, im Berner Oberland, im Urserental und in einigen Gegenden Graubündens.

Heute ist man sich darüber einig, dass die Walliser und die Walser nur ein Erbgut gemeinsam haben: ihre altertümliche Sprache."

(Fibicher, Walliser Geschichte Band 2, Seite 244)

"Man kann wohl sagen, dass Livers These vom Walserrecht als Kolonistenrecht Gemeingut geworden ist und praktisch von allen, die seither geschrieben haben, übernommen worden ist. Auch Hans Kreis, Paul Zinsli und Enrico Rizzi haben in ihren Gesamtschauen sich ihr angeschlossen."

(Carlen, Aufsätze zur Rechtsgeschichte, Seite 75/76) 

Unser Standpunkt

In der wissenschaftlichen Literatur war man sich einig: es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen den Walsern ausser der Sprache. Und gerade die Rechtsgeschichte beweist, dass die Walser zwar Freiheiten und Rechte hatten, dass diese aber unterschiedlich sind und schon gar nicht auf eine alte Tradition (also auf das Herkunftsland) zurückzuführen sind.

Und dann kam 2004 eine Dissertation geschrieben bei Professor Louis Morsak, einem verdienten und bekannten Rechtshistoriker in Innsbruck. Diese Dissertation geht neu Wege. Sie wagt es, alte, von allen übernommene Positionen zu hinterfragen. Frau Dr. La Rosée hatte den Mut, die Grundfragen zur Walser Geschichte neu zu denken. Sie verdient für diesen Mut Anerkennung und Lob.

So stehen auf der einen Seite eine Reihe von grossen Wissenschaftlern und verdienten Persönlichkeiten. Deren Leistung und deren Resultate sind unbestritten und deren Argumente sind überzeugend.

Dem gegenüber steht das Zusammenghörigkeitsgefühl der Leute aus Walser Gebieten. Im Rahmen des Interreg Projektes "Walser Alps"  haben wir mit einigen Dutzend alten Leuten aus Walser Regionen ausführlich Gespräche geführt und haben dabei festgestellt, dass es so etwas wie eine "gefühlsmässige Identität" da ist. Man fühlt sich als Walser und man formuliert, dass viele Sagen, Bräuche, Rezepte, Arbeitstechniken etc erstaunlich gleich sind. In der Wissenschaft ( Paul Zinsli) hat man vermutet, dass dieses Zusammengehörigkeitsgefühl neuesten Datums sein könnte. Erst seit der Wiederentdeckung der Walser ( Tita von Öttingen) und seit den verschiedenen internationalen Walser Treffen sei den Leuten bewusst geworden, dass man etwas Gemeinsames habe. Vorher hätte dieses Bewusstsein nie bestanden.

Eines der heikelsten Kapitel in dieser Diskussion ist- wie gesagt- die Rechtsgeschichte. Es schien, als ob alle Urkunden gelesen und alle Schlüsse gezogen worden seien und dass es zu diesem Kapitel nichts mehr zu sagen gäbe. Die erwähnte Dissertation hat aber gezeigt: stellt man andere Fragen, geht man von anderen Fragestellungen aus, dann kann man durchaus zu anderen Schlussfolgerungen kommen.

Bisher galt die These "Walser Rechte sind Kolonistenrechte". Und weil sie Kolonistenrechte sind, gelten sie überall, wo es Kolonisten gibt und sie sind unabhängig von der Herkunft der Leute. Sollte diese zentrale These aber nicht stimmen, ergeben sich völlig neue Perspektiven.  

Zum Beispiel könnten die Landfriedensbündnisse  (Vertrag von Saas Almagell von 1291) der Ursprung von vielen Rechten sein. Aus dem Bedürfnis nach Sicherheit heraus konnten völlig neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Adeligen und Talleuten entstehen. Die zentrale Walser Recht der Selbstverwaltung  zum Beispiel erklärt sich dann nicht nur oder nicht mehr als Entgeld für Kolonistenarbeit, sondern als Produkt eines Prozesses.

Oder es müsste die Frage neu aufgerollt und nee beantwortet werden, ob die Walser Rechte nicht doch letztlich Walser Recht sind in dem Sinne, dass sie aus der Urheimat mitgebracht wurden.

Und wenn die Walser Rechte eben doch aus dem Ursprungsland mitgebracht wurden?

Silke  La Rosée hat in ihrer Dissertation die Frage klar beantwortet: die Visionen von Freiheit und Selbstverwaltung wurden aus dem Ursprungsland (aus dem Wallis) mitgebracht. Silke  La Rosée ist nicht die einzige, welche die These vertritt, Walser Recht sei Walliser Recht. Schon viele Jahre vor ihr hat zum Beispiel der bekannte deutsche Historiker Heinrich Büttner  in einem Aufsatz von 1955 betitelt mit "Anfänge des Walser rechtes im Wallis" Folgendes geschrieben:

'Bei der Urkunde, die Walter von Vaz im Oktober 1277 für die homines Theutonici im Rheinwaldausgestellte, wird das ausgebildete Walserrecht, bei dem auch die aus geprägte Selbstverwaltung und die eigene Bestellung des Ammanns eine besondere Rolle spielte, bereits als illorum consuetudo, als mitgebrachtes Gewohnheitsrecht, bezeichnet. Wenn man auch durchaus berücksichtigen darf, dass in den Jahrhunderten des Mittelalters eine Rechtsgewohnheit oft rascher, als man vermuten möchte als solche entstand und bezeichnet wurde, so wird doch durch diesen Hinweis der Urkunde von 1277 der Blick wieder auf das Herkunftsgebiet der Siedler im Rhein wald oder gar auf das Ausgangsland8 der ganzen Wanderbewegung im Alpenraum, auf das Wallis, gelenkt.'(Seite 90)

Wenn im oberen Wallis die Ausbildung des genossenschaftlichen Gedankens und der Selbstverwaltung im 13. Jahrhundert durchaus spürbar ist, wenn sich aus den Anfängen des ausgehenden 12. Jahrhunderts, wie sie bei Lauinen deutlich werden, bis zur zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein Auftreten der politisch handelnden communitates entwickelt, dann ist als sicher anzunehmen, dass die auswandernden Walser seit dem 12. Jahrhundert jeweils die besten und ausgebildetsten Formen, die ihnen am meisten zusagten, aus ihrer Heimat mitnahmen und sie, unbeschwert von den Nachwirkungen der Vergangenheit, im Pomat oder am Simplon in Ursern oder sonst wo bei ihren Siedlungen zur Geltung zu bringen suchten. Der Hinweis, der für Rheinwald im Jahre 1277 auf die consuetudo der Siedler gegeben wurde, bestand völlig zu Recht. Die Rechtsformen der Walser waren in ihrer neuen Heimat den dort bekannten Rechtsvorstellungen aber keineswegs ganz fremd; sie wurden nicht als ganz ungewöhnlich empfunden, da ja ähnliche Gedanken und Entwicklungstendenzen sich um die gleiche Zeit des 13. Jahrhunderts auch sonst im Raum der Zentralalpen enden. (Seite 101)

Damit gäbe es aber neben der Sprache und neben viel Zeugen gemeinsamer Tradition in Museen, ein weiteres Merkmal einer Walser Identität. Wenn  Walser Rechte Walser Recht ist und letztlich aus dem Ursprungsland Wallis mitgebracht wurde, dann kann man eben doch von einer Walser Ethnizität sprechen.

Das, was Interviewpartner uns gegenüber formuliert haben und was wir als Grundthese für unsere Projektarbeit mal angenommen haben, nämlich dass es eine ethnische Identität der Walser gibt, wird bestätigt. Zugegebenermaßen gibt es eine Reihe von Fakten, die mit gutem Grund verschieden gedeutet werden können. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Walser Rechte letztlich ein bisschen beides sind, ist groß. Nur : die Behauptung, dass das eine auszuschließen sei, muss spätestens seit der Dissertation von Silke La Rosée fallen gelassen werden.

Aber zumindest kann man nicht mit einem Lächeln behaupten, Walser Identität sei ein Hirngespinst von Projektleitern von Interreg Projekten, oder ein Wunschtraum von Heimwehwallisern, die es Gegner sehen würden, wenn die Band zum Ursprungsland klar nachgewiesen würden.

Fairerweise sei gesagt: die These vom Walser Recht, das als Gewohnheitsrecht mitgebracht wurde ( oder der consuetudo illorum) ist eine vallable, nachvollziehbare, wissenschaftlich fundierte These ebenbürtig der andern, die behauptet Walser Recht sei Kolonistenrecht.

Es kann dann durchaus sein, dass sich durch die Walser und dank den Walsern  in den Walsergebieten eine Bewegung durchgesetzt hat, die ganz  auf Gemeindeselbstverwaltung und Freiheit aus Sicherheitsgründen setzt.

Wir behaupten nicht, diese Bewegung sei in ihren Ursprung eine rein Walserische. Sie könnte durchaus andere Wurzeln haben (oberitalienische Städte zum Beispiel). Aber sie wurde in Walser Gebieten überall übernommen und man kann durchaus sagen, es sei ein gemeinsames Merkmal, also eine Identität der Walser.

 Autor Hans Steffen, April 2007
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